Einleitung und Rechtsquellen
Sinn und Zweck des Zivilprozesses und seine Struktur
– Durchsetzung subjektiver Privatrechte für die Klagende Partei, die zu ihrem Recht kommen kann
– Schutz der objektiven Rechtsordnung: Sanktion für die nicht-Befolgung zivilrechtlicher Normen Generalprävention
– Wiederherstellung der Rechtsfriedens durch einen definitiven Entscheid
– „sozialer Zivilprozess“: Schutz „schwächerer Partei“ in bestimmten Verfahren durch Unentgeltlichkeit des Verfahrens und besondere Verfahrensregeln
Risiken des Zivilprozesses
– Beweisrisiken, Kosten, Zeit
– Gerichtskostenvorschuss (Art. 98 ZPO)
– Kosten der Parteivertretung (Anwaltskosten)
Alternativen zum Zivilprozess
– Obligatorischer Schlichtungsversuch (Art. 197 ZPO)
– Möglichkeit der Mediation (Art. 213ff. ZPO)
– Das Gericht muss auf die Einigung zwischen den Parteien möglichst fördern. Art. 124 Abs. 3 ZPO)
Ausgangslage des Zivilprozesses
Einer Forderung gehört nicht nur das Recht auf Leistung, sondern auch das Recht auf die zwangsweise Durchsetzung der Forderung (sog. Klagerecht), das Rechtsschutz gewährleistet.
Gestaltungsklagerecht
Gestaltungklagerechte dienen der Umgestaltung einer Rechtslage (Scheidung auf Klage).
≠ Gestaltungsrechte (Einseitige Geltendmachung eines Rechts: Erklärung der Verrechnung, Art. 120ff. OR): Sie können auch ausserhalb eines Prozesses geltend gemacht werden.
Anspruch auf Leistung in Geld (Schuldbetriebung)
!!! Schlichtungsverfahren entfällt!!!
1. Betreibungsbegehren beim Betreibungsamt (Art. 67ff. SchKG)
2. Betreibungsamt stellt dem Schuldner einen Zahlungsbefehl zu (Art. 69ff. SchKG)
3. Keinen Rechtsvorschlag innert 10 Tage (Art. 74ff. SchKG)
-> Problemlose Konstellation, kein Prozess
Rechtsvorschalg: Die betriebene Person teilt dem Gläubiger via Betreibungsamt mit, dass sie seine Forderung nicht anerkenne und dass er sich an ein Gericht wenden müsse, wenn er mit der Betreibung weiterfahren wolle (Art. 74 SchKG). Sie schlägt ihm gewissermassen vor, den Streit auf die Rechtsebene zu verlagern, wenn er denn weitergehen solle, sie macht eben „Rechts-Vorschlag“. Quelle
3. Fristgerechter Rechtsvorschlag
Konstellation 1: Die Forderung beruht auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellte oder mit Unterschrift bestätigte Schuldanerkennung
- Der Gläubiger verlangt die provisorische Rechtsöffnung (Art. 82 Abs. 1 SchKG iVm Art. 251 Bst. a ZPO) in einem summarischen Verfahren.
- Das Rechtsöffnungsgericht gewährt die provisorische Rechtsöffnung, wenn der Schuldner nicht sofort Einwendungen glaubhaft machen kann, die die Schuldanerkennung entkräften (Art. 82 Abs. 2 SchKG).
Wenn die provisorische Rechtsöffnung nicht gewährt wird, bleibt das ordentliche Verfahren auf Anerkennung offen (Leistungsklage, Art. 79 SchKG). - Bei provisorischer Rechtsöffnung, hat der Betriebene 20 Tage um auf Aberkennung der Forderung in einem Zivilprozess zu klagen (Art. 83 Abs. 2 SchKG).
Konstellation 2: Forderung beruht auf einem vollstreckbaren gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Entscheid
- Definitive Rechtsöffnung wird verlangt (Art. 80 SchKG)
- Nicht gewährt, nur wenn der Betriebene durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit dem Entscheid verjährt ist oder getilgt oder gestundet wurde (Abschliessend! Nur 3 Möglichkeiten).
Konstellation 3: Vollstreckbare öffentliche Urkunde (Art. 81 Abs. 2 SchKG)
Die Person muss nicht nur ihre Einwendungen glaubhaft machen, sondern auch sofort beweisen können.
Konstellation 4: Alle übrige Fälle
Nur Leistungsklage als Rechtsmittel (Erkenntnisverfahren)
Das Rechtsöffnungsverfahren entscheidet nicht über das Bestand eines geltend gemachten Rechts.
Anspruch auf eine Leistung, die weder in Geld, noch in einer Sicherheitsleistung in Geld besteht
– Anspruch auf Sachleistung, Tun, Unterlassen: Die Betreibung ist nicht möglich (Art. 38 Abs. 1 SchKG)
– Klage gem. ZPO auf Tun, Unterlassen, Herausgabe der Sache
Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsverfahren
Erkenntnisverfahren: Sachentscheid: Das Gericht stellt durch Urteil fest, was rechtens ist. Zum Verfahren kommt es erst dann, wenn die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind. Bei Fehlen gibt es kein Sachurteil, sondern einen Prozessentscheid (Nichteintretensentscheid).
Vollstreckungsverfahren: Zwangsweise Durchsetzung eines Urteils, das nicht freiwillig befolgt wurde. Bei Geldzahlungen kommt das SchKG zur Anwendung, sonst ist die ZPO anwendbar.
Die Entwicklung der ZPO
Ursprünglich gehört das Zivilprozessrecht zu den kantonalen Kompetenzen. Trotz vielen Diskussionen, lässt auch die BV von 1999 diese Kompetenz den Kantonen.
Der Bund bekommt aber in Art. 30 Abs. 2 die Kompetenz, über die örtliche Zuständigkeit der Zivilgerichte gesetzgeberisch tätig zu werden. Der Bund erlässt in Folge das Gerichtsstandgesetz (durch ZPO abgelöst).
1.1.2007 tritt Art. 122 BV in Kraft, die weist die Gesetzgebungskompetenz dem Bund zu.
Für das Verfahren vor dem Bundesgericht, wurde das OG durch das BGG ersetzt. ZPO dient den kantonalen Instanzen.
Rechtsquellen:
1. EMRK, Internationales Recht, LugÜ
2. Verfassung:
– Art. 9 (Willkürverbot, Treu und Glauben)
– Art. 29 (Verfahrensgarantien)
Anspruch auf rechtliches Gehör: Konkretisiert im ZPO: sog. Waffengleichheit:
- Klage
- Klageantwort
- Kläger darf antworten
- Beklagte darf antworten
– Art. 29a BV (Rechtsweggarantie): Konkretisierung von Art. 6 EMRK
– Art. 30 BV (Gerichtliche Verfahren): Unabhängiges Gericht: Konkretisierung durch Art. 47 ZPO (Ausstandsgründe)
– Art. 49 BV (Vorrang des Bundesrechts)
– Art. 122 BV (Kompetenz),
– Art. 191 BV (Zugang zum Bundesgericht) erlaubt die Einführung einer Streitwertgrenze, die im Art. 74 BGG konkretisiert ist. Im Arbeitsrecht dient die tiefere Streitwertgrenze der Rechtseinheit. Wäre die Streitwertgrenze gleich hoch, wie bei anderen zivilrechtliche Fragen, wäre sie zu oft gar nicht erreicht. Gem. Art. 191 Abs. 2 BV darf die Streitwertgrenze nur für Fragen, ohne grundsätzliche Bedeutung vorgesehen werden.
Frage grundsätzlicher Bedeutung: Frage betrifft eine Vielzahl von Personen und es gibt keine Rechtsprechung, oder Frage die immer wieder kommt, umstritten ist und eine klare Rechtsprechung braucht.
Andere Bundesrechtsquellen: ZPO, IPRG, BGG, BGFA (Anwaltsgesetz)
BZP: Sehr geringe Bedeutung (Art. 1 BZB über Anwendbarkeit), kopiert die Berner ZPO, deshalb auch nicht als Vorbild bei der Entwicklung der ZPO verwendet.
3. Interkantonale Gesetze (Konkordate)
4. Kantonale Gesetze
Kantonales Recht nur subsidiär anwendbar, bedarf gesetzliche Ermächtigung zum Erlass. Wenn diese fehlt, ist das kantonale bundesrechtswidrig und wird vom Bundesgericht rückgängig gemacht.
Übernahme bisheriger Rechtsinstituten in die ZPO
Einrede der abgeurteilten Sache: BGE 118 II 479 (Art. 59 Abs. 2 lit. e) Die Sache darf noch nicht rechtskräftig entschieden worden sein. Wenn eine Prozessvoraussetzung fehlt, gibt es einen Prozess, aber das Gericht befasst sich nicht mit dem Inhalt Nichteintreten-entscheid (≠ Kein Prozess)
Sperrwirkung der Rechtshängigkeit: BGE 114 II 183 ( Art. 59 Abs.2 lit. d) Wenn eine Sache vor dem Gericht rechtshängig ist, darf sie nicht in einem zweiten Verfahren entschieden werden. Somit soll verhindert werden, dass zwei Gerichte die selbe Frage unterschiedlich beantworten. Im BGE wurde entscheiden, dass es Sache des Bundes ist, zu entscheiden, ob zwei Verfahren identisch sind. Wird auf das Verfahren Bundesrecht angewendet, ist es Sache des Bundes zu vermeiden, dass beide Prozesse zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen und somit inwieweit er die Einrede der Rechtshängigkeit zulassen will.
Feststellungsklage: BGE 110 II 352: Das Rechts sieht drei Klagearten vor: Die Leistungsklage (Verurteilung zur Geldzahlung oder Unterlassen, Art. 84 ZPO), die Gestaltungsklage (Gründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten, Art. 87) und die Feststellungsklage (Rechtsverhältnis wird festgestellt, Art. 88 ZPO) Die Feststellungsklage ist zu den beiden anderen subsidiär. Im BGE wurde festgehalten, dass eine negative Feststellungsklage des Schuldners, der zwecks Unterbrechung der Verjährung betrieben wird, voraussetzt, dass bei Abwägung der gegenseitigen Interessen jenes des Schuldners sich als schutzwürdig erweist.
Im Vordergrund steht das Rechtsinteresse. Das Interesse kann aber auch tatsächlich sein, solange es erheblich ist. Die Fortdauer der Ungewissheit darf dem Kläger nicht zugemutet werden, da sie ihn in seinen Entschlüssen behindert.
Unbezifferte Forderungsklage: BGE 114 II 253 (Art. 85 ZPO): Eine Feststellungsklage ist auch dann zulässig, wenn der Schaden noch wächst und deshalb die Forderung nicht klar bezifferbar ist.
Stufenklage: BGE 123 III 140 E.2b: Wenn dem Kläger der Umfang und Bestand des Anspruchs nicht bekannt ist und die nötigen Informationen vom Beklagten bekannt sind.
Bsp: Erbrecht: Bestimmte Erben haben besondere Informationen. Sie sind materiell-rechtlich verpflichtet (und nicht prozessrechtlich), Auskünfte zu geben. Wenn der Kläger diese Informationen bekommt, kann er seine Ansprüche geltend machen.
Beide Ansprüche (Geld- und Informationsanspruch) dürfen im selben Verfahren geltend gemacht werden (objektive Klagehäufung, ≠subjektive Klagehäufung, wo mehrere Personen einen Anspruch geltend machen), solange das Teilurteil die Prozessvoraussetzungen erfüllt und es in einem eigenen Verfahren entschieden hätte werden können. Art. 85 Abs. 2 ZPO: Auskunftserteilung betrifft die Stufenklage.
Verwirkung des Klagerechts: Rechtsuntergang ist Sache des Bundes, nicht der Kantone.
Abgrenzungen
Strafrecht
Das Urteil ist für ein nachfolgender Zivilprozess zwischen Täter und Geschädigtem nicht bindend, was Schuld, Urteilsfähigkeit, Bestimmung des Schadens betrifft.
Zivilrechtliche Ansprüche können im Strafprozess geltend gemacht werden (Adhäsionsprozess). Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach Art. 31ff. StPO. Auch ob ein Anspruch geltend gemacht werden kann richtet sich nach Art. 122 ff StPO.
Verwaltungsrecht
Die Abgrenzung ist nach den 4 Theorien vorzunehmen:
– Modale Theorie: Sanktionen des öff-Recht -> öff. Recht
– Funktionstheorie: Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe
– Subordinationstheorie: Staat ist den Privaten übergeordnet (Enteignung eines Grundstücks)
– Interessentheorie: Staat nimmt hier ein öffentliches Interesse wahr.
Ein Zivilgericht darf aber vorfrageweise über öff.-rechliche Fragen entscheiden.
Betreibung und Konkurs
- Rein betreibungsrechtliche Streitigkeit: Zulässigkeit, Fortgang des Betreibungsverfahren: Entscheide wirken innerhalb des Betreibungsverfahrens. Meistens summarische Verfahren
- Betreibungsrechtliche Streitigkeiten mit materiell-rechtlichem Hintergrund: Der Entscheid ist abhängig von der Beurteilung einer materiell-rechtliche Vorfrage. Entscheide wirken innerhalb des Betreibungsverfahrens. Vereinfachtes oder ordentliches Verfahren (Schlichtungsverfahren entfällt gem. Art. 198 ZPO)
- Materielle Streitigkeiten: Entscheidung über materielle Rechte (Erkenntnisverfahren). Umfassende Wirkung. Vereinfachtes oder ordentliches Verfahren (Aber Art. 198 ZPO kann zur Anwendung kommen).
Gerichtsorganisation
Grundsätzlich ist die Gerichtsorganisation Sache der Kantone. Die ZPO zwingt sie aber zwei zivilrechtliche Instanzen vorzusehen. Die Kantonen regeln die sachliche Zuständigkeit der Gerichte.
Freie Gerichtsbarkeit
Zivilprozess braucht grundsätzlich zwei Parteien. In manchen Fällen kann jedoch eine einzelne Person gegen eine rechtsanwendende Behörde gegenübertreten: Verschollenenerklärung, Kraftloserklärung von Wertpapieren…
Freie Gerichtsbarkeit bedeutet nicht, dass ein Gericht immer zuständig ist. (Eröffnung letztwilliger Verfügungen durch Erbschaftsamt in BS). Auch ganz freiwillig ist es nicht. Ohne Gesuch passiert keine Rechtsänderung. Es besteht als ein Zwang seitens des Gesuchstellers ein Gesuch einzureichen und tätig zu werden, wenn er seine Rechte durchsetzen möchte.
Register unterstehen nicht der ZPO, sondern kantonalem Recht. Wo das Bundesrecht eine gerichtliche Behörde vorschreibt, ist die ZPO anwendbar.