Erwachsenenschutz

 

Erwachsenenschutz soll erwachsenen Menschen, die nicht Urteilsfähig sind, helfen.

 

Das Konzept des Erwachsenenschutzes

Erwachsenenschutz, 1. Eigene Vorsorge, 2. Massnahmen von Gesetzes wegen, 3. Behördliche Massnahmen,
Die Reihenfolge der Erwachsenenschutzmassnahmen 
Quelle: Vorlesungsfolien Prof. Dr. iur. Jonas Schweighauser, FS 2020

 

1. Eigene Vorsorge 360 ff.

Die erste Stufe des Erwachsenenschutzes ist die eigene Vorsorge. Der Wille der urteilsunfähigen Person sollen so gut wie möglich durch eine vertraute Person gewahrt werden.

 

Der Vorsorgeauftrag 360-369 ZGB

Der Vorsorgeauftrag wahrt das Recht auf Selbstbestimmung, weil der Wille der betroffenen Person darin enthalten ist und nicht der Wille einer Behörde.

Der betroffene ordnet an, wer für ihn handeln und sorgen soll, wenn Urteilsunfähigkeit eintritt (360 I). Darin enthalten sind auch Handlungsanweisungen. Geregelt wird Personenvorsorge, Vermögensvorsorge und Rechtsvertretung.

Errichtung des Vorsorgeauftrages:

  • Handlungsfähigkeit des Errichteten im Zeitpunkt des Verfassens
  • Form: Handschriftlich, eigenhändig oder öffentlich beurkundet (361)
  • Auf Antrag kann Vorsorgeauftrag im Infostar (zentrales Register) eingetragen werden.
  • Widerruf ist möglich durch das Vernichten des Dokumentes oder durch das Verfassen eines neuen Dokumentes (362)

Der Vorsorgeauftrag entfaltet Wirkung mit Eintritt einer längeren Urteilsunfähigkeit. Falls Urteilsfähigkeit wiedererlangt wird, erlischt die Wirksamkeit.

eine Validierung durch die Erwachsenenschutzbehörde muss zwingend erfolgen.
363 III die bezeichnete Person kann den Auftrag ablehnen oder annehmen.

Erfüllung des Vorsorgeauftrages

Die Beauftragte Person ist zur persönlichen Erfüllung des Auftrages verpflichtet und zur Vertretung des Beauftragenden berechtigt (365 ZGB, analoge Anwendung der 394 ff. OR).

Was gehört zur Erfüllung

  • Vertretung der Interessen des Beauftragenden
  • Informationen mitteilen, Gewissen Rechenschaftspflicht, Dokumentation über Handlungen
  • Rechtsgeschäftliche Vertretung

 

Die Patientenverfügung 370-373 ZGB

Zweck der Patientenverfügung ist die Selbstbestimmung bzgl. der Einwilligung in medizinische Massnahmen auch bei Urteilsunfähigkeit.

Inhalt:

  • Anordnung medizinischer Massnahmen (Lebensverlängernde Massnahmen Ja/Nein, künstliche Nahrung Ja/Nein, Welche Eingriffe man möchte usw.)
  • Bezeichnung einer natürlichen Vertrauensperson 370 II
  • evt. Ersatzperson, wenn erste Vertrauensperson ausfällt.

Errichtung der Patientenverfügung

  • Urteilsfähigkeit der Verfügenden Person
  • Es handelt sich um ein höchstpersönliches Recht 19c I
  • einfache Schriftlichkeit mit Datum und Unterschrift 371 I
  • Freiwillige Eintragung auf der Versichertenkarte 371 II, oder Hinterlegung beim Hausarzt
  • Widerruf ist möglich nach den Regeln über den Vorsorgeauftrag (vgl. 362)

Wirkung der Patientenverfügung

Die Wirkung beginnt mit dem Eintritt der Urteilsunfähigkeit und endet, wenn die Urteilsfähigkeit wiedererlangt wurde. Es ist keine Validierung der Erwachsenenschutzbehörde notwendig.

Der Arzt muss wenn möglich vor einem Eingriff abklären, ob eine Patientenverfügung vorliegt. In Fällen der Dringlichkeit kann es unmöglich sein, dann ergreift der Arzt Massnahmen nach dem mutmasslichen Willen und Interessen der Person (379)

Der Arzt ist grds. an die Patientenverfügung gebunden – Ausnahmen sind:

  • Patientenverfügung verstösst gegen Gesetz (z.B. Formmangel; Sterbehilfe als widerrechtlicher Inhalt).
  • Begründete Zweifel, dass die Verfügung auf freiem Willen beruht (z.B. Täuschung, Irrtum).
  • Unklar, ob die Patientenverfügung noch dem mutmasslichen Willen der betroffenen Person entspricht (z.B. bei neuer medizinischer Behandlungsmöglichkeit, die es im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung noch nicht gab).

Grds. entscheidet der Arzt als medizinische Fachperson, ob er der Patientenverfügung folgt oder nicht.

 

2. Massnahmen von Gesetzes wegen 374 ff.

Wenn die eigene Vorsorge durch Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung nicht geregelt ist, soll noch bevor eine Behörde entscheidet das soziale Umfeld die Interessen der urteilsunfähigen Person wahrnehmen. Die gesetzlich angeordneten Massnahmen verpflichten nahestehende Personen dazu die Interessen der urteilsunfähigen Person zu vertreten.

 

Vertretung durch den Ehegatten/eingetragene Partnerin

Das gesetzliche Vertretungsrecht von 374 umfasst das Unternehmen von Rechtshandlungen zur Deckung des Unterhalts, ordentliche Verwaltung des Einkommens sowie weiterer Vermögenswerte, das Öffnen und Erledigen der Post/Mails usw.
Für ausserordentliche Vermögensverwaltung muss der Vertreter Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen. («ordentlich/ ausserordentlich vgl. 227,228 ZGB)

Voraussetzungen für die Entstehung

  • Urteilsunfähigkeit beim Vertretenen
  • Vertreter Handlungsfähigkeit, nicht blosse Urteilsfähigkeit
  • Ehe oder eingetragene Partnerschaft
  • tatsächlich gelebte Beziehung (gemeinsamer Haushalt oder Bestehen gegenseitiger Beistandspflichten)
  • Subsidiarität (374 I) (Fehlen eines Vorsorgeauftrages/ Patientenverfügung, Beistandschaft)

Vertretungsrecht entfällt automatisch:

  • bei Wiedereintritt der Urteilsfähigkeit
  • bei Verlust der Handlungsfähigkeit des Vertreters
  • bei Interessenkonflikt (analog 365 III, 403 II ZGB)
  • bei Errichtung einer Beistandschaft
  • bei Auflösung der Ehe/ eingetragenen Partnerschaft

gesetzliche Vertretung kann auf Antrag einer nahestehenden Person oder von Amtes wegen entzogen werden und eine Beistandschaft kann errichtet werden.

 

Vertretung bei medizinischen Massnahmen

Dies ist die zweite gesetzliche Massnahme zur Vertretung der Interessen der urteilsunfähigen Person.

Voraussetzungen zur Entstehung der Vertretung

  • Urteilsunfähigkeit der vertretenen Person
  • Subsidiarität (keine Patientenverfügung/ unzureichende Weisungen darin enthalten 377 I)
  • Ambulante oder stationäre Massnahme (keine Behandlung psychischer Störungen)
  • Einwilligung zu einer Behandlung ist nur möglich, wenn sie medizinisch indiziert ist.

Kaskade in 387 ZGB

In welcher Reihenfolge kommen die Vertreter der zweiten Massnahme (von Gesetzes wegen)

  1. In Patientenverfügung oder Vorsorgeauftrag bezeichnete Person (vgl. 1. Eigene Vorsorge);
  2. Beistand mit Vertretungsrecht bei medizinischen Massnahmen;
  3. Ehegattin/eingetragener Partner, der in gemeinsamem Haushalt wohnt oder der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leistet;
  4. Person, die mit der urteilsunfähigen Person gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet (Konkubinatspartner);
  5. Nachkommen (bei regelmässigem und persönlichem Beistand);
  6. Eltern (bei regelmässigem und persönlichem Beistand);
  7. Geschwister (bei regelmässigem und persönlichem Beistand).

Die Personen sollen so entscheiden, wie der Vertretene entschieden hätte, keine Eigennützigen Entscheide oder persönliche Werte des Vertreters dürfen einfliessen.

 

Aufenthalt in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen 382-387 ZGB

Die dritte gesetzliche Vertretungsmassnahme regelt den Betreuungsvertrag zwischen der Pflegebedürftigen, urteilsunfähigen Person und dem Wohn- oder Pflegeheim. Die abschliessende Person hat ein Informationsrecht bzgl. der Massnahmen zur Bewegungsfreiheit für die zu betreuende Person. Der Wille der urteilsunfähigen Person soll, wie immer, so weit wie möglich gewahrt bleiben.

Die zur Vertretung berechtigten Personen ergeben sich auch aus der Kaskade von 387 ZGB.

 

3. Behördliche Massnahmen 388 ff.

Die dritte Stufe, nach der eigenen Vorsorge und den Massnahmen von Gesetzes wegen sind die Behördlichen Massnahmen. Gem. 389 I Ziff. 2 sind sie subsidiär zu den anderen beiden Stufen anzuwenden.

388 ZGB

Die behördlichen Massnahmen des Erwachsenenschutzes stellen das Wohl und den Schutz hilfsbedürftiger Personen sicher.
Sie sollen die Selbstbestimmung der betroffenen Personen so weit wie möglich erhalten und fördern.

 

Die Beistandschaft im Allgemeinen

Beistandschaft heisst, dass eine Art Vertreter von der Behörde bestellt wird, der im Interesse der hilfsbedürftigen Person handelt.

Der Beistand muss fachlich geeignet sein und die Zeit aufbringen können (400). Die hilfsbedürftige Person kann einen potenziellen Beistand Vorschlagen oder ablehnen, die Erwachsenenschutzbehörde hat diesen Wunsch zu berücksichtigen, (401 I). Sie berücksichtigt ausserdem die Wünsche Angehöriger soweit diese sinnvoll sind (401 II). Es darf keine Interessenskonflikte zwischen dem Beistand und dem Verbeiständeten geben, der Beistand hat Rücksicht auf den Verbeiständeten zu nehmen (406).

Gegen Handlungen oder Unterlassungen des Beistandes kann die Erwachsenenschutzbehörde angerufen werde (419). Gegen Entscheide der Erwachsenenschutzbehörde kann beim zuständigen Gericht Beschwerde erhoben werden (450).

Voraussetzungen 390 ZGB

  • Erwachsene natürliche Person (Bei Minderjährigen greifen die Kindesschutzmassnahmen gem. 307 ff.)
  • Angelegenheiten können nicht selbst besorgt werden (hilfsbedürftig infolge Schwächezustands und besonders schutzbedürftig)
  • Keine eigene Vorsorge (Mit Vorsorgeauftrag bezeichnete Person)
  • Antrag der betroffenen, oder nahestehenden Person oder von Amtes wegen (390 III)

Begleitbeistandschaft 393 ZGB

Die Begleitbeistandschaft ist die mildeste Form der Beistandschaft, der Beistand ist nur in unterstützender Funktion für gewisse Aufgaben tätig. Die unterstützte Person bleibt grds. handlungsfähig. Der Beistand kann die hilfsbedürftige Person nicht vertreten, sondern nur unterstützen und beraten. Eine Begleitbeistandschaft wird nur mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person errichtet.

Vertretungsbeistandschaft 394,395 ZGB

Der Beistand kann die hilfsbedürftige Person vertreten und für sie handeln. Die Kooperation zwischen den beiden Personen ist wichtig. Grds. bleibt der vertretene handlungsfähig, die Behörde kann die die Handlungsfähigkeit aber einschränken. Eine Anordnung gegen den Willen der betroffenen Person ist möglich.

Eine Spezialform der Vertretungsbeistandschaft ist die Vermögensverwaltungsbeistandschaft (395).

Mitwirkungsbeistandschaft 396 ZGB

Für bestimmte Handlungen ist der Verbeiständigte nicht mehr handlungsfähig, d.h. er braucht die Mitwirkung des Beistandes. Die verbeiständete Person handelt selbständig, der Beistand muss die Geschäfte im Nachhinein genehmigen, er hat allerdings keine Vertretungsmacht.

Kombination von Beistandschaften 397 ZGB

Begleit-, Vertretungs- und Mitwirkungsbeistandschaft kann verknüpft werden und je nach Situation und Geschäft eine andere Form angewendet werden.

Umfassende Beistandschaft 398 ZGB

(Früher: Vormundschaft – veraltet)
Die umfassende Beistandschaft ist die stärkste Form der Verbeiständigung. Die verbeiständete Person ist nicht mehr handlungsfähig (398 III). Der Beistand ist Vertreter aller Belangen ausser der absolut höchstpersönlichen Recht (19c)

Die umfassende Beistandschaft ist die Ultima ratio und nur anzuwenden, wenn keine andere Massnahme hilft.

 

Die fürsorgerische Unterbringung 426-439 ZGB

(Abkürzung: FU, früher: fürsorglicher Freiheitsentzug)

426 ZGB

I: Eine Person, die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, darf in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann.
II: Die Belastung und der Schutz von Angehörigen und Dritten sind zu berücksichtigen
III: Die betroffene Person wird entlassen, sobald die Voraussetzungen für die Unterbringung nicht mehr erfüllt sind.
IV: Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann jederzeit um Entlassung ersuchen. Über dieses Gesuch ist ohne Verzug zu entscheiden.

Die Unterbringung erfolgt gegen den Willen der betroffenen Person. Die Unterbringung hat keine Auswirkung auf die Handlungsfähigkeit. Ziel ist es die Personen möglichst schnell wieder in die Unabhängigkeit und Freiheit zurückzuführen.

Die fürsorgliche Unterbringung ist abzugrenzen von dem Aufenthalt in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen gem. 382-387 ZGB, welcher eine Massnahme von Gesetzes wegen (2. Stufe) ist und die FU eine Massnahme der Behörden (3. Stufe) ist.

Anordnung der FU

Eine FU kann durch die KESB (443 ff.) oder durch Ärzte (429 f.) angeordnet werden.

Gegen eine Anordnung der FU kann man sich gem. 450 ZGB beschweren, man muss die Beschwerde nicht begründen und hat Anspruch auf einen Entscheid innert 5 Tagen (450e).

 

Organisation der KESB

Die KESB ist eine interdisziplinär zusammengesetzte Fachbehörde, die kantonal geregelt ist (440 III). Es arbeiten Juristen, Pädagogen, Psychologen, Sozialarbeiter für die Behörde.

Die KESB wird aktiv auf Meldungen. Jede Person kann Meldungen erstatten, wenn eine Person hilfsbedürftig erscheint, wer in amtlicher Tätigkeit arbeitet, kann sogar meldepflichtig sein.

Bei Gefahr im Verzug kann mit einer vorsorglichen Massnahme schnelle Hilfe geboten werden.

446 ZGB: Es gilt die uneingeschränkte Untersuchungsmaxime, damit die KESB Tatsachen herausfinden kann, die Offizialmaxime, d.h. sie hat die Verfahrensherrschaft und das Recht wird von Amtes wegen angewendet.

Beschwerden gegen die KESB gehen gem. 450 vor das kantonale Verwaltungsgericht.

Durch Schäden der KESB wird der Kanton haftpflichtig. Der Kanton kann allenfalls Rückgriff auf die fehlbare Person nehmen 454 IV.

Erwachsenenschutz Familienrecht #11

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