Gemeingefährliche Delikte
Gemeingefährliche Delikte sind in der Lage Naturkräfte von unberechenbarer Wirkung zu entfesseln, also wenn ein unkontrollierbares Risiko geschaffen wird. Geschützt werden die Rechtsgüter Leib, Leben, Eigentum, Vermögen durch diese konkreten Gefährdungsdelikte.
Übersicht
- Brandstiftung
- Explosions- und Sprengstoffdelikte (Art. 223-226ter)
- Weitere Gemeingefährliche Delikte (Art. 227-230)
- Gemeingefährliche Delikte gegen die öffentliche Gesundheit
Brandstiftung
Art. 221 Abs. 1 Brandstiftung
- Tatbestand
- Obj. Tatbestand
- Tatobjekt (Allgemeinheit)
- Tätereigenschaft (Jeder)
- Handlung (Eine Feuersbrunst entfachen, also ein grosses Feuer, welches vom Urheber nicht mehr kontrolliert werden kann.)
- Gefährdungserfolg (Schaden eines anderen oder Gemeingefahr erschaffen. (1))
- Kausalität
- Obj. Zurechnung
- Subj. Tatbestand
- Gefährdungsvorsatz (Vorsätzlich entfacht oder verstärkt und vorsätzlich ein Sachschaden oder Gemeingefahr erschaffen haben. (dolus eventualis reicht))
- Obj. Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
(1) Schaden eines anderen und Gemeingefahr
Schaden eines Anderen: Die h.M. meint einen Schaden an einer Sache gem. 713/ 655 ZGB, an der eine andere Person ein dingliches- oder beschränktes dingliches Recht hat.
Gemeingefahr: Ist die Gefährdung einer Vielzahl vom Zufall ausgewählter Güter. Gemeingefahr kann auch ein unberechenbarer Zustand, im nicht zum Voraus bestimmten Umfang sein.
Repräsentatentheorie:
Gemeingefahr heisst, dass die Gefahr für die Allgemeinheit eintreten muss. Das müssen aber nicht in jedem Fall viele Menschen sein. Gemäss der h.L. kann auch ein Mensch allein als «Repräsentant der Allgemeinheit» angesehen werden, sofern dieser zufällig zum Opfer wird und nicht absichtlich ausgesucht. Bringt der Täter gezielt nur eine Person mit solch einer Explosion in Gefahr finden die Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte Anwendung.
Art. 221 Abs. 2 Brandstiftung
- Tatbestand
- Obj. Tatbestand
- Tatobjekt (Leib und Leben von Menschen)
- Tätereigenschaft (Jeder)
- Handlung (Eine Feuersbrunst entfachen, also ein grosses Feuer, welches vom Urheber nicht mehr kontrolliert werden kann.)
- Gefährdungserfolg (Leib und Leben von Menschen ist in Gefahr.)
- Kausalität
- Obj. Zurechnung
- Subj. Tatbestand
- Gefährdungsvorsatz (Vorsätzlich entfacht oder verstärkt (dolus eventualis reicht) und wissentlich Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringen (dolus directus erforderlich).)
- Obj. Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Art. 222 Fahrlässige Brandstiftung
- Tatbestand
- Rechtlich relevante Tathandlung (Eine Feuersbrunst entfachen, also ein grosses Feuer, welches vom Urheber nicht mehr kontrolliert werden kann.)
- Eintritt des Tatbestandlichen Gefährdungserfolgs (Schaden eines anderen oder Gemeingefahr erschaffen.)
- Ursachenzusammenhang zwischen Tathandlung und Deliktserfolg (Kausalität + obj. Zurechnung)
- Sorgfaltspflichtwidrigkeit des Verhaltens (nach einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und subsidiär der Gefahrensatz: Wer eine Gefahr schafft muss alles tun, um sie wieder abzuwenden.)
- Objektiver Massstab
- Subjektiver Massstab (Sorgfaltspflicht- erhöhende oder erniedrigende Gründe?)
- Zusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtwidrigem Verhalten und Delikterfolg (Hat sich die Sorgfaltswidrigkeit/ seine Unaufmerksamkeit im Delikt verwirklicht?)
- Vorhersehbarkeit des Erfolges (allgemeine Lebenserfahrung und gewöhnlicher Lauf der Dinge «fast alles vorhersehbar», h.M.)
- Objektiver Massstab
- Subjektiver Massstab (Sorgfaltspflicht- erhöhende oder erniedrigende Gründe?)
- Pflichtwidrigkeitszusammenhang (Vermeidbarkeit) (Wahrscheinlichkeitstheorie vs. Risikoerhöhungslehre)
- Schutzzweck der verletzten Sorgfaltsnorm (Das Eintreten eines Erfolges, der durch die Norm genau hätte verhindert werden sollen)
- Vorhersehbarkeit des Erfolges (allgemeine Lebenserfahrung und gewöhnlicher Lauf der Dinge «fast alles vorhersehbar», h.M.)
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Zumutbarkeit Normgemässem (sorgfaltspflichtgemässem) Verhalten
Qualifizierung nach Abs. 2, wenn Leib und Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird.
Systematik der Explosions- und Sprengstoffdelikte
Die Sprengstoffdelikte sind konkrete Gefährdungsdelikte, da sie immer einen Gefährdungserfolg «in Gefahr bringen» voraussetzen, nicht aber die Verletzung, den Tod eines Menschen oder die Zerstörung/ Beschädigung von fremden Sachen.
Art. 223 Ziff. 1 vorsätzliches Herbeiführen einer Explosion mit sonstigen explosionsgefährlichen Stoffen
- Tatbestand
- Obj. Tatbestand
- Tatobjekt (Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum)
- Tätereigenschaft (Jeder)
- Handlung (eine Explosion mit einem explosionsgefährlichen Stoff wie Gas, Benzin, Petroleum usw. herbeiführen)
- Gefährdungserfolg (Leib, Leben oder fremdes Eigentum in Gefahr bringen)
- Kausalität
- Obj. Zurechnung
- Subj. Tatbestand
- Gefährdungsvorsatz (mindestens eventualvorsätzliches herbeiführen der Explosion und dolus directus für das in Gefahr bringen von Leib und Leben oder fremdem Eigentum)
- Obj. Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Art. 223 Ziff. 2 fahrlässiges Herbeiführen einer Explosion mit sonstigen explosionsgefährlichen Stoffen
Wenn Explosion oder Gefährdung oder beides zusammen fahrlässig geschehen ist.
Art. 224 vorsätzlich Gefahr schaffen durch Sprengstoff
- Tatbestand
- Obj. Tatbestand
- Tatobjekt (Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum)
- Tätereigenschaft (Jeder)
- Handlung (In Gefahr bringen durch Sprengstoff im technischen Sinne/ giftige Gase)
- Gefährdungserfolg (Leib und Leben oder fremdes Eigentum in Gefahr bringen (1))
- Kausalität
- Obj. Zurechnung
- Subj. Tatbestand
- Gefährdungsvorsatz (mindestens eventualvorsätzliches herbeiführen der Explosion und dolus directus für das in Gefahr bringen von Leib und Leben oder fremdem Eigentum)
- Verbrecherische Absicht (Mit verbrecherischer Absicht handelt der Täter, wenn er ausser der Gefährdung ein weiteres Verbrechen oder Vergehen verüben will.)
- Obj. Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen
Art. 225 Fahrlässige/ vorsätzlich aber ohne verbrecherische Absicht Gefahr schaffen durch Sprengstoff
Wenn der Täter vorsätzlich durch eine Explosion Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt aber dabei keine verbrecherische Absicht hat.
Wenn der Täter fahrlässig solch eine Explosion herbeiführt.
Weitere Gemeingefährliche Delikte
Art. 227 Verursachen einer Überschwemmung oder eines Einsturzes
Einsturz: Von Bauwerken oder Felssturz
Solch ein Einsturz muss von einer gewissen Erheblichkeit sein angesichts der hohen Strafandrohung.
Vorsätzliches Handeln bzgl. Gefährdung (Ziff. 1) und fahrlässiges Handeln gem. Ziff. 2
Art. 228 StGB Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutzvorrichtungen
Dämme, Wehre, Deiche, Schleusen, Schutzvorrichtungen gegen Naturereignisse (Bergsturz, Lawinen) beschädigen oder zerstören
und dadurch mit dolus directus Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden.
Fahrlässigkeit gem. Ziff.2
Art. 229 Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde
Tätereigenschaft: Wer bei der Ausführung einer Baumassnahme die Entscheidungsgewalt hat. Also wer leitet oder direkt ausführt.
Durch das Ausserachtlassen der anerkannten Regeln der Baukunde mit dolus directus Leib und Leben oder fremdes Eigentum gefährden.
Art. 230 Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen
Eine unfallverhindernde Vorrichtung bei Maschinen.
Ziff. 1: vorsätzlich und vorschriftswidrig nicht anbringen oder beseitigen und mit dolus directus Leib und Leben von Mitmenschen gefährden.
Ziff. 2: fahrlässiges nicht anbringen oder beseitigen und dadurch fahrlässiger Erfolg.
Gemeingefährliche Delikte gegen die öffentliche Gesundheit
Art. 231 Verbreiten menschlicher Krankheiten
Art. 231 ist nach der von der h.L. vertretenen Mittelbarkeitstheorie ein abstraktes Gefährdungsdelikt, d.h. es wird kein Erfolg vorausgesetzt, die Ansteckung als Handlung ist bereits rechtswidrig. Der neu Infizierte wird als Mittel zur Gefährdung Dritter gesehen. Er darf deshalb auch nicht in die Tat einwilligen, weil man nur in die Verletzung von Individualrechtsgüter einwilligen kann.
Die Vertreter der Unmittelbarkeitestheorie sehen den neu angesteckten als angezieltes Opfer der Tat an, somit ist es ein Erfolgsdelikt. Der Erfolg ist die Übertragung der Krankheit. Einwilligung ist möglich, da er nur über seine Individualrechtsgüter entscheidet.
- Tatbestand
- Obj. Tatbestand
- Tatobjekt (mind. 1 anderer Mensch, da dieser wiederum weitere anstecken kann)
- Tätereigenschaft (Ein Infizierter oder derjenige, der Infizierte und gesunde zusammenbringt)
- Handlung (anstecken mit einer gefährlichen (1), übertragbaren und menschliche Krankheit (2))
- Subj. Tatbestand
- Gemeine Gesinnung (3)
- Obj. Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen
(1) Gefährliche Krankheit
Gefährlich ist eine Krankheit dann, wenn für den Durchschnittsbürger ein reelles Risiko für die Tötung oder schwere Gesundheitsschäden besteht.
(2) Menschliche Krankheit
Eine Krankheit ist ein pathologischer Zustand.
(3) Gemeine Gesinnung
Gemeine Gesinnung ist dolus directus 1. Grades und zusätzlich eine diabolische Absicht andere vorsätzlich anzustecken. Z.B. Terroristische Motive, absichtlich ungeschützten Geschlechtsverkehr zum Zwecke der Ansteckung mit AIDS, Rache.
Konkurrenzen
Art. 231 konsumiert Art. 123 (einfache Körperverletzung) und Art. 125 (fahrlässige Körperverletzung).
Zwischen Art. 231 und Art. 122 besteht echte Konkurrenz, da die beiden Delikte unterschiedliche Rechtsgüter angreifen Art. 231 die öffentliche Gesundheit und Art. 125 die Körperliche Unversehrtheit von Einzelpersonen.