Die strafrechtliche Irrtumslehre

 

Irrtum wird definiert als das Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit. Unterschieden werden Irrtümer primär in Sachverhaltsirrtum und Verbotsirrtum. Art. 13 und 21 regeln die Rechtsfolgen.

 

Sachverhaltsirrtum (Art. 13) und Verbotsirrtum (Art. 21)

Sachverhaltsirrtum = verkennt der Täter ein Merkmal des Sachverhalts. Er weiss nicht was er tut.
Verbotsirrtum = wusste der Täter nicht was legal und was illegal ist.
Sachverhaltsirrtum = verwechselt der Täter Edelweiss mit Gänseblümchen
Verbotsirrtum
= glaubt der Täter, das Pflücken von Edelweiss sei erlaubt

 

(4.) Sachverhaltsirrtum Rechtsfolgen gemäss Art. 13 StGB

Abs. 1: Unvermeidbarer Sachverhaltsirrtum Strafbarkeit nach seiner subjektiven Vorstellung
Abs. 2: Vermeidbarer Sachverhaltsirrtum Bestrafung aus Fahrlässigkeitsdelikt

 

(1.) Verbotsirrtum Rechtsfolgen gemäss Art. 21 StGB

Unvermeidbarer Verbotsirrtum keine Strafbarkeit
Vermeidbarer Verbotsirrtum Milderung der Strafe

Seriöses Informieren über die Rechtslage ist im Zweifelsfall immer erforderlich.

 

Weitere Unterteilung der Irrtümer

Die strafrechtliche Irrtumslehre, Irrtümer, Verbotsirrtum Art. 21, Sachverhaltsirrtum Art. 13,
Schematische Übersicht über die 6 Irrtümer

 

(2.) Erlaubnisirrtum/ Indirekter Verbotsirrtum (Verbotsirrtum)

Täter nimmt an er sei durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt, den es nicht gibt oder der Täter denkt der Rechtfertigungsgrund habe einen grösseren Umfang.
Rechtsfolgen gemäss Verbotsirrtum Art. 21

 

(5.) Erlaubnistatbestandsirrtum (Sachverhaltsirrtum)

Der Täter verkennt den Sachverhalt, rechnet somit mit dem Rechtfertigungsgrund. Da aber ein anderer Sachverhalt Realität ist, gibt es auch diesen Rechtfertigungsgrund nicht.
Rechtsfolgen gemäss Sachverhaltsirrtum Art. 13

 

(3.) Entschuldigungsirrtum (Verbotsirrtum)

Täter nimmt an er sei durch einen Entschuldigungsgrund entschuldigt, den es nicht gibt oder der Täter denkt der Entschuldigungsgrund habe einen grösseren Umfang.
Rechtsfolgen: Unbeachtlicher Irrtum

 

(6.) Entschuldigungstatbestandsirrtum (Sachverhaltsirrtum)

Der Täter verkennt den Sachverhalt, rechnet somit mit dem Entschuldigungsgrund. Da aber ein anderer Sachverhalt Realität ist, gibt es auch diesen Entschuldigungsgrund nicht.
Rechtsfolgen strittig gemäss Sachverhaltsirrtum Art. 13 / oder Art. 21

 

Schema, wo die Irrtümer angesprochen werden

  1. Tatbestand
    1. Obj. Tatbestand
    2. Subj. Tatbestand
      1. Sachverhaltsirrtum Art.13, weil kein Vorsatz, alle wichtigen Sonderfälle
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld
    1. Schuldfähigkeit Art. 19
    2. Unrechtsbewusstsein Art. 21
      1. Direkter Verbotsirrtum Art. 21
      2. Erlaubnisirrtum/Indirekter Verbotsirrtum Art. 21
      3. Erlaubnistatbestandsirrtum Art. 13
      4. Entschuldigungsirrtum unbeachtlich
      5. Entschuldigungstatbestandsirrtum Art. 13/Art. 21
    3. Zumutbarkeit des Handelns

 

Wichtige Sonderfälle des Sachverhaltsirrtums

Error in persona = Täter irrt sich nicht über die rechtliche Qualifikation des Tatobjekts, sondern nur über dessen konkrete Identität (1)

Es handelt sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, der den Vorsatz des Täters nicht entfallen lässt (= Bestrafung wegen vollendeten Vorsatzdeliktes)

Aberratio ictus = Der Taterfolg tritt nicht an dem vom Täter angezielten, sondern an einem anderen Tatobjekt ein (womit der Täter nicht gerechnet hat) (2)

− Versuch bzgl. des angezielten Objekts
− Ggf. Fahrlässigkeitsdelikt bzgl. des getroffenen Objekts

Irrtum über den Kausalverlauf = Täter irrt sich über die Art und Weise, in der es zu dem von ihm gewollten Deliktserfolg komm (3)

Der auf den Kausalzusammenhang bezogene Vorsatz entfällt, wenn der tatsächliche Ablauf des Geschehens wesentlich von dem abweicht, den sich der Täter vorgestellt hat

Dolus generalis-Fälle = Täter nimmt zwei Handlungen vor, wobei er irrtümlich davon ausgeht, den deliktischen Erfolg bereits mit der ersten bzw. erst durch die zweite Handlung erreicht zu haben (4)

Es kommt darauf an, ob beide Handlungen von vornherein geplant waren oder nicht (ersterenfalls: Bestrafung wegen vollendeten Vorsatzdeliktes; letzterenfalls: versuchtes Vorsatzdelikt und Fahrlässigkeitsdelikt.

Irrtum im Vorfeld des Straftatbestandes = Täter irrt sich über eine für die Strafbarkeit relevante Vorfrage aus dem Zivilrecht oder dem öffentlichen Recht (5)

Wenn der Täter die rechtliche Wertung nicht einmal im Rahmen einer sog. Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzogen hat, entfällt der Vorsatz (= Sonderfall, in dem ein Irrtum über die Rechtslage zum Tatbestandsirrtum führt)

(1) Error in persona Bsp.

A möchte auf B schiessen, verwechselt B mit C und trifft C unbeachtlicher Irrtum, Tötungsvorsatz für C. Der Vorsatz entfällt nicht, weil A einen Menschen töten wollte.

(2) Aberratio Ictus Bsp.

A möchte auf Gartenzwerg des B schiessen Hund läuft in Schusslinie Versuchte Sachbeschädigung für Gartenzwerg und fahrlässige Sachbeschädigung für Hund.

(3) Irrtum über den Kausalverlauf Bsp.

A möchte auf Gartenzwerg des B schiessen, Schuss geht ins Leere. B erschrickt, wird ohnmächtig und fällt auf seinen Gartenzwerg. Zwerg trotzdem kaputt gegangen. Vorsatz entfällt bei wesentlicher Abweichung und Fahrlässigkeitsdelikt wird geprüft.

Der Täter muss nicht genau wissen wie die Tat ablaufen wird. Aber er muss den Kausalverlauf «in den wesentlichen Zügen» voraussehen.
Eine wesentliche Abweichung ist, was absolut atypisch abläuft.

Wenn etwas sehr atypisch abläuft, ist es aber schon gar nicht mehr obj. zurechenbar.

  • «man muss damit rechnen» keine wesentliche Abweichung kein Irrtum
  • «atypischer Geschehensablauf» wesentliche Abweichung Irrtum

(4) Dolus generalis-Fälle Bsp.

Ersteren falls: beide Handlungen waren geplant:
A schlägt B nieder um ihn in Ruhe im Gartenteich ertränken zu können Das ganze ist als Einheit zu verstehen und er hatte von Anfang an Tötungsvorsatz.

Letzteren falls: Die Handlungen waren nicht beide geplant:
A schlägt B nieder. B bewusstlos. A denkt B sei tod. A möchte nun die Leiche verstecken im Gartenteich. 2x keine Tötungsvorsatz.
1. Er wollte ihn nur niederschlagen
2. Er wollte nur die Leiche verstecken
Versuchte Körperverletzung und fahrlässige Tötung

(5) Irrtum im Vorfeld des Straftatbestandes Bsp.

A verliert Kleidersack, Kind B findet ihn und behält ihn. B macht somit Fundunterschlagung. Er wusste aber nicht, dass man gefundenes nicht behalten darf. Dass es eine Fundunterschlagung gibt war dem Laien (Kind) nicht bewusst. Irrtum war nicht vermeidbar gewesen Kind unschuldig.

 

Auswirkung des error in personas des einen Mittäters auf die anderen Mittäter (1. oldy but goldy)

Einem der Mittäter unterlauft ein error in persona und schiesst somit auf seinen Kollegen.

1. Lösung: Alle Mittäter sind als Einheit zu verstehen und alle werden genau gleich bestraft.
2. Lösung: Der gemeinsame Tatentschluss belief sich nicht auf das Schiessen auf Kollegen somit liegt ein Mittäterexzess vor. Der error in persona gilt nicht für alle Mittäter.

 

Auswirkung des error in personas des Vordermannes auf den Hintermann (2. oldy but goldy)

A beauftragt B das Auto von C mit einer Bombe zu versehen. B nimmt das falsche Auto. (error in persona)

1. Lösung: error in persona auch für den Hintermann – Hintermann hatte Vorsatz für falsches Opfer.
2. Lösung: error in persona nicht für den Hintermann – Kein Vorsatz für Hintermann für falsches Opfer. Tat für Hintermann fehlgeschlagen (aberratio ictus)
3. Lösung: einzelfallabhängig – Entscheidens ist ob der Fehler beim Hintermann oder beim Haupttäter passiert ist. (Mischform der Theorien)

 

Irrtum des Hintermanns über die Tatherrschaft (3. oldy but goldy)

A sagt: «gib meinem Onkel die Medizin» und meint damit er solle ihm Gift geben. A denkt B durchschaue seine Worte. B gibt dem Onkel das Gift und denkt wirklich es wäre Medizin.

1. Lösung: Vorsätzliche Tötung in Mittelbarer Täterschaft (-), weil er keinen Vorsatz hatte Mittelbarer Täter zu sein. Er sah es als Anstiftung.
2. Lösung: Anstiftung zur vorsätzlichen Tötung (-), weil der Haupttäter ein willensloses Werkzeug war, A war zwar obj. Anstifter wollte das aber gar nicht sein.
3. Lösung: versuchte Anstiftung zur vorsätzlichen Tötung gemäss Art. 111 i.V.m. Art. 24 Abs. 2 (+), weil laut StGB die Versuchte Anstiftung zu Verbrechen (aber nur Verbrechen) strafbar ist.

Hinweis: Die versuchte Anstiftung zu einem Vergehen gemäss Art. 24 Abs. 2 ist nicht strafbar.

Die strafrechtliche Irrtumslehre Strafrecht # 13

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