Das Sanktionensystem

 

Das Sanktionensystem der Schweiz funktioniert durch eine Mischung aus Strafen und Massnahmen. Mit dieser Mischung kann die Sanktion bestmöglich an den jeweiligen Täter und Situation angepasst werden.

Strafen sollen das Unrecht ausgleichen, vor potenziellen Taten abschrecken und Delinquenten bessern. Die Strafe ist höher je höher das Unrecht der Tat wiegt.

Massnahmen werden entsprechend der Gefährlichkeit des Täters ausgesprochen. Sie sind darauf ausgelegt kranke Täter zu heilen und die Öffentlichkeit vor gefährlichen Tätern zu schützen.

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Übersicht Strafen und Massnahmen

Handeln kann nur bestraft werden, wenn es tatbestandsmässig, rechtswidrig und schuldhaft ist. Entschuldigtes Handeln wird nicht bestraft, das Unrecht besteht aber trotzdem. In diesen Fällen können Massnahmen angeordnet werden.

In der Schweiz herrscht das dualistisch vikariierende System, das bedeutet:
– Strafe + sichernde Massnahme zuerst Massnahme, dann Strafe
– Ausnahme: Freiheitsstrafe + Verwahrung zuerst Strafe, dann Massnahme

Strafbefreiungsgründe sind in Art. 52 – 55 StGB geregelt.

 

Freiheitsstrafe Art. 40-41

Das Sanktionensystem, zeitige Freiheitsstrafe max. 20 Jahre, Lebenslängliche Freiheitsstrafe
Unterschied zwischen zeitiger- und lebenslänglicher Freiheitsstrafe

Lebenslängliche Freiheitsstrafen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Es gibt 5 Tatbestände, bei denen eine lebenslängliche Freiheitsstrafe ausgesprochen werden kann.
Ab 15 Jahren ist die bedingte Entlassung das erste Mal möglich, ab dann wird jedes Jahr einmal überprüft.

Legitimität

Lebenslängliche Freiheitsstrafen sind nur legitimierbar, wenn die Möglichkeit zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft besteht. Es verstösst gegen die Menschenwürde einen Menschen mit Sicherheit niemals mehr einzugliedern. Bedingte Entlassungen sind ausserdem nötig, um bei den Häftlingen einen gewissen Druck zu erzeugen, da sie etwas zu verlieren haben. Der Vollzug von Freiheitsstrafen erfolgt in einer Stufenweisen Lockerung. Die letzte Lockerung davon ist die bedingte Entlassung.

Bedingte Entlassung Art. 86

Voraussetzungen

  • Mind. 2/3 der Strafe verbüsst
    • Ausnahme 1/2 der Strafe bei extremen Umständen
  • Gutes Verhalten im Vollzug
  • gute Legalprognose (nicht anzunehmen, dass er wieder Straftaten (Verbrechen/Vergehen) begeht.

 

Geldstrafe Art. 34-36

Geldstrafen funktionieren nach dem Tagessatzsystem d.h. es gibt keine festen Geldbeträge als Strafe wie bei den Bussen.
1 Tagessatz = Einkommen des Täters pro Tag.

Normalfall: Freiheitsstrafe ODER Geldstrafe angedroht durch Gesetz – Richter entscheidet
Ausnahme: Freiheitsstrafe UND Geldstrafe angedroht durch Gesetz – (z.B. Art. 135 Abs. 3 StGB)

Höhe der Geldstrafe Art. 34

Min. 3 und max. 180 Tagessätze i.H.v. 30 CHF – 3’000 CHF. (gemäss Einkommen des Täters)

Wer kein Einkommen hat, aber viel Vermögen str. Zinsen werden als Lohn gerechnet und evt. wird die Geldstrafe dem Vermögen angeglichen.

Vollzug

Zahlungsfrist von 1 – 6 Monaten. In der Realität werden meist die Vermögenswerte eingefroren während des Verfahrens.

Wenn kein Geld vorhanden ist, kann eine Ersatzfreiheitsstrafe (Art. 36) ausgesprochen werden.
1 Tag Gefängnis = 1 Tagessatz Geldstrafe.

 

Busse Art. 106

1 – 10’000 CHF

Verbindungsbussen kommen zusätzlich zu einer Geldstrafe/Freiheitsstrafe und sollen als Denkzettel wirken.

Auch bei Bussen sind Ersatzfreiheitsstrafen (1 Tag – 3 Monate) möglich.

 

Gemeinnützige Arbeit Art. 79a

Nach dem Motto: «lieber schwitzen statt sitzen», kann man auf Antrag gemäss Art. 79a StGB gemeinnützige Arbeit leisten. Das ist möglich bei Bussen, Geldstrafen und Freiheitsstrafen unter 6 Monaten. 1 Tag Freiheitsstrafe = 4h gemeinnützige Arbeit.

 

Unbedingte-, teilbedingte-, und bedingte Strafen Art. 42 – 43

Bedingte Strafen bestrafen den Täter nicht direkt. Kurze Haftstrafen sind laut Wissenschaft sinnlos, weil der Kleinkriminelle schlimmer aus dem Gefängnis kommt als er vor der Haft war. Bedingte Strafen üben aber einen grossen Druck auf den Verurteilten aus, da er die Konsequenzen bei einem Fehler kennt.

Unbedingte Strafe

Die verhängte Strafe wird vollzogen.

Teilbedingte Strafe

Ein Teil der Straft wird vollzogen, ein Teil wird bedingt ausgesprochen.

Bedingte Strafe

Die gesamte Strafe wird aufgeschoben und wird erst vollzogen, wenn der Täter sich etwas zu Schulden kommen lässt. Allerletzte Warnung immer mit Verbindungsbusse (kombinierte Strafe) Art. 42 Abs. 4.

Welche Strafen dürfen bedingt und teilbedingt ausgesprochen werden?

Freiheitsstrafe

  • bedingt: 3 Tage – 2 Jahre (Art. 42 Abs. 1)
  • teilbedingt: 1 Jahr – 3 Jahre (Art. 43 Abs. 1)

Geldstrafe: bedingt in beliebiger Höhe (3-180 Tagessätze)

Busse: nur unbedingt gemäss Art. 105 Abs. 1 StGB

Voraussetzungen einer bedingten Strafe Schema Art. 42

  1. Verhängte Sanktion liegt zwischen 3 Tagen – 2 Jahre (Art. 42 Abs. 1)
  2. Der Täter hat keine zumutbare Schadensbehebung unterlassen (Art. 42 Abs.3)
  3. Es besteht eine günstige Legalprognose
    1. Vorverurteilter Täter: grds. schlechte Legalprognose, ausser besondere Umstände
    2. Ersttäter: grds. gute Legalprognose, ausser besondere Umstände

Die Vorverurteilung muss eine Freiheitsstrafe von mind. 6 Monate sein. Kleinere Strafen führen somit immer noch zu einer grds. positiven Legalprognose.

Im Zweifel werden Sachverständige herbeigezogen, die eine Legalprognose erstellen. Für weniger gewichtige Fälle nimmt man Computersysteme, welche eine Legalprognose aufgrund von einfachen Fragen erstellen oder der Richter entscheidet aufgrund seiner Erfahrung.

teilbedingte Strafe Art. 43

Teilbedingte Strafen können quasi als Denkzettel verstanden werden, die einem Täter gegeben werden, welcher keine genügend gute Legalprognose für eine bedingte Strafe erhalten hat, die Tat aber auch nicht so schwer wiegt, dass man ihn unbedingt bestrafen muss.
Teilbedingte Strafen sind geeignet, wenn man den Täter nicht ganz ohne Vollzug davonkommen lassen möchte.

Voraussetzung

  • Verhängte Sanktion liegt im Bereich von 1 – 3 Jahre (Art. 43 Abs. 1)

Begleitende Massnahmen zu bedingten- und teilbedingten Strafen Art. 44

Wird eine bedingte- oder teilbedingte Strafe ausgesprochen so wird dem Verurteilten eine Probezeit von 2-5 Jahren auferlegt. Es kann Bewährungshilfe angefordert werden und ihm können Weisungen erteilt werden.

Falls der Verurteilte sich nicht an die Weisungen hält, Verbrechen oder Vergehen begeht oder sich der Bewährungshilfe entzieht, kann seine bedingte Strafe widerrufen werden und in eine unbedingte Strafe umgewandelt werden.

 

Der Vorgang der Strafzumessung

Ist überhaupt eine Sanktion festzulegen, oder liegen Strafbefreiungsgründe (Art. 52-55) vor?

  1. Bestimmung des Strafrahmens
    1. Ordentlicher Strafrahmen (aus konkretem Straftatbestand des StGB i.V.m AT Normen)
    2. Ausweitung des Strafrahmens nach oben und unten (Schärfung/Milderung Art. 48a (1))
  2. Strafminderung und Erhöhungsgründe (Bewertung/Abwägen)
    1. Tatkomponente (Art. 47 Abs. 1 Satz 1) (Bewertung der Tat)
      1. Schwere der Verletzung des betroffenen Rechtsgutes
      2. Verwerflichkeit der Tat/ des Handelns
      3. Intensität des deliktischen Willens (kriminelle Energie)
      4. Beweggründe und Ziele
    2. Täterkomponente (Art. 47 Abs. 1 und 2) (Berücksichtigung des Täters)
      1. Schuldvorwurf für den Täter
      2. Persönliche Verhältnisse des Täters
      3. Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren
      4. Strafempfindlichkeit des Täters
      5. Sonstige Folgen für Opfer oder Täter
  3. Umsetzung in eine konkrete Strafe (Ergebnis Fazit über den Daumen (2))
  4. Ggf. Entscheidung ob bedingt, teilbedingt, unbedingt.
  5. Massnahme statt Strafe (3)

(1) Strafmilderungsgründe Art. 48

Strafmilderungsgründe sind meist spezielle, Umstände zur Tatzeit, die das Unrecht des Täters abschwächen.
Faustregel: scheitern Entschuldigungsgründe/Rechtfertigungsgründe dann Strafmilderung prüfen.

Strafmilderungsgründe aus dem AT Art. 48a

  • Unechtes Unterlassen (Art. 11 Abs. 4 StGB)
  • entschuldbare Notwehr (Art. 16 Abs. 1 StGB)
  • entschuldbarer Notstand (Art. 18 Abs. 1 StGB)
  • verminderte Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 2 StGB)
  • vermeidbarer Rechtsirrtum (Art. 21 Satz 2 StGB)
  • Versuch (Art. 22 Abs. 1 StGB)
  • Rücktritt/tätige Reue (Art. 23 StGB)
  • Gehilfenschaft (Art. 25 StGB)
  • Teilnehmer am Sonderdelikt (Art. 26 StGB)

Strafschärfungsgrund (echte Konkurrenz)

Wenn der Täter einen Straftatbestand mehrfach verwirklicht, wird er härter bestraft, als wenn er ihn nur einmal verwirklicht hat. Allerdings ist das Asperationsprinzip gemäss Art. 49 Abs. 1 ein sehr Täterfreundliches Prinzip.

Bei Gleichartigen Strafen (Freiheitsstrafe + Freiheitsstrafe) «konkrete Methode»

Die Schwerste Straftat wird genommen und diese wird angemessen (Faktor max. x1.5 und mind. Um eine Strafeinheit) erhöht.
Bsp. 4 Jahre und 3 Jahre 4 Jahre + (0.5 x 4 Jahre) = 6 Jahre maximal.

Bei ungleichen Strafen (Freiheitsstrafe + Geldstrafe) «Kumulationsprinzip»

Beide Strafen werden kumuliert
Bsp. 4 Jahre + 60 Tagessätze 4 Jahre + 60 Tagessätze

Liegt unechte Konkurrenz vor, so schliesst der eine Tatbestand alle anderen aus und sie werden bei der Strafzumessung gar nicht betrachtet.

(2) Ergebnis Umsetzung in ein konkretes Strafmass

Alle Punkte, die unter 2. angesprochen wurden werden zusammen betrachtet und so bildet man ein Fazit. Welche Punkte sprechen für eine Strafminderung- oder Erhöhung und wie gewichtig sind diese Punkte untereinander.

(3) Eine Frage des Unrechtsgehalts (Schuld) und der Gefährlichkeit

Je mehr die Schuld wiegt, desto härter kann der Täter bestraft werden.
Je gefährlicher ein Täter ist, desto eher werden Massnahme angeordnet.

Ein Schuldunfähiger Täter darf gar nicht bestraft werden. Massnahmen sind erlaubt sowie sinnvoll und notwendig.

Negative Folgen für den Täter lassen ihn bereits ein Stück weit büssen. Somit kann die Strafe milder ausfallen. Negative Folgen für das Opfer machen die Tat verwerflicher und somit kann die Strafe erhöht werden.

Straferhöhende Umstände

  • Opfer fühlt sich nach Einbruch nicht mehr wohl in der Wohnung
  • Folgeschäden für Opfer, Bsp. Totgeburt durch Schock der schwangeren Mutter

Strafermindernde Umstände

  • Täter wurde disziplinarrechtlich bereits bestraft
  • Täter wurde durch Medien in die Öffentlichkeit gezerrt und verurteilt
  • Zeitablauf zwischen Tat und Verurteilung
  • Übermässig langes Strafverfahren

 

Sichernde Massnahmen Art. 56 ff.

Für die Anordnung von Massnahmen muss eine tatbestandsmässige und Rechtswidrige Anlasstat vorliegen. Auch bei Entschuldigungsgründen kann eine Massnahme angeordnet werden. Die Dauer der Massnahmen sind unbestimmt, haben aber eine Höchstdauer. Ausser die «kleine Verwahrung» (Art. 59), sie kann endlos immer um 5 Jahre verlängert werden.

Stationäre therapeutische Massnahme Art. 59 «kleine Verwahrung»

  • Verbrechen oder Vergehen
  • Schwere psychische Störung beim Täter
  • Schutz vor der Allgemeinheit durch das wegsperren des Täters

Suchtbehandlung Art. 60

  • Abhängigkeit von Suchtstoffen
  • Verbrechen oder Vergehen
  • Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Taten

Ambulante Behandlung Art. 63

  • Täter ist abhängig von Suchtstoffen oder psychisch krank
  • Anlasstat steht im Zusammenhang mit den Problemen
  • Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Taten
  • Täter nicht so gefährlich, dass er eingesperrt sein müsste

Verwahrung Art. 64 Abs. 1

  • Eine in Art. 64 Abs. 1 genannte Tat oder der Versuch davon
  • Es ist ernsthaft zu erwarten, dass der Täter weitere Taten begeht
  • Anordnung der stationären therapeutischen Massnahme verspricht keinen Erfolg auf Besserung

Lebenslängliche Verwahrung Art. 64 Abs. 1bis

Zusätzlich: eine besonders hohe Gefährdung bzw. starker Eingriff in die psychische, physische oder sexuelle Integrität eines Opfers. Der Täter ist als dauernd nicht therapierbar eingestuft.

Landesverweisung Art. 66a ff.

Art. 66a Abs. 1 ist einen Katalog mit Taten, bei denen die Landesverweisung obligatorisch ist. 5 – 15 Jahre lang dauert dies Landesverweisung und im Widerholungsfall 20 Jahre.

In Art. 66a Abs. 2 ist die Härtefallklausel. Wenn die privaten Interessen des Täters den öffentlichen Interessen überwiegen, kann ein Täter ausnahmsweise doch nicht des Landes verwiesen werden. Diese Regelung wird angewandt bei Secondos, die nie in ihrem Heimatsland gelebt haben.

 

Andere Massnahmen Art. 69 ff.

Sicherungseinziehung Art. 69

Bestimmte Gegenstände können aufgrund ihrer Gefährlichkeit aus dem Verkehr gezogen werden (z.B. Waffen, Drogen).
Eingezogen werden könne:

  • producta sceleris – Produkte, die durch Tat entstanden sind. Z.B. Urkunde bei Urkundenfälschung.
  • instrumenta sceleris – Gegenstände, die zur Begehung der Tat gebraucht wurden. Z.B. Waffen, Autos usw.

Das Gebot der Eingriffsschwächsten Methode gilt hier. Es darf nichts eingezogen werden, wenn es eine mildere Lösung gibt.

Abschöpfungseinziehung Art. 70

Geld auf Schweizer Bankkonten kann abgeschöpft werden. Z.B. Gewinn aus illegalen Geschäften, Beute eines Raubes oder gewaschenes Geld.

Das Sanktionensystem Strafrecht #16
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